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Archiv-Artikel

Abstecher in die Realität

Die Bundesliga vor dem Start (IV), heute: der 1. FC Köln. Der Aufsteiger setzt ganz auf sein Prinzendoppel Poldi und Rapoldi. Vorne mitspielen will man erst in vier Jahren

KÖLLE taz ■ Christoph Daum war dieser Tage mit Fenerbahce Istanbul zum Freundschaftsspiel (1:1) in Köln und hat ein wenig geplaudert, warum er, „der Wunschtraum“ (FC-Präsident Wolfgang Overath), doch nicht Trainer geworden ist. Nämlich: weil seine Konzepte der FC-Führung zu teuer erschienen seien. „Wenn das Aber dominiert“, sagte Daum, „dann trittst du auf der Stelle. Die wirtschaftliche Gesundung hat die sportliche Perspektive dominiert. Und da hab ich gedacht: Nöö, bei einer Bank arbeite ich nicht.“

Nun muss man bei Daum’schen Erzählungen immer vorsichtig sein, aber seine Ablehnung deutet eine Sensation an: Der notorisch größenwahnsinnige FC macht tatsächlich einen Abstecher in die Realität. Auch Overath spricht jetzt davon, dass man erst in vier Jahren „vorne dabei sein“ will. Sonst wurde bei jedem Wiederaufstieg eine baldige Europacup-Teilnahme als quasi gottgegeben versprochen. Zudem gibt die Geißbock-Bank jetzt eine FC-Inhaberschuldverschreibung aus: Fünf Millionen Euro sollen die Fans bis 2011 zeichnen, fest verzinst mit 5 Prozent pro Saison. Es bestehe „kein Risiko“, sagt der Klub.

Statt Daum wurde, wie man weiß, Uwe Rapolder Trainer. Auf durchaus kölsche Art: Im März war er bei der „Litcologne 2005“ aufgetreten – laut Programm als „Künstler“ mit dem Vortrag „Wie moderner Fußball funktioniert“. Es ging um „die taktische und strategische Seite des Fußballs“ – und dabei wurde sein Besuch selbst zur strategischen Geheimmission: Noch auf der Litcologne waren er und FC-Manager Andreas Rettig von den Lesungsveranstaltern zum Beschnuppern zusammengeführt worden. Wochenlang leugnete Rapolder jeden Kontakt. Die Agenturmeldung von seiner Unterschrift kam dann an einem schönen Maitag – um 11 Uhr 11.

Rapolder hat nach dem ungeliebten Holland-Grantler Huub Stevens alle Vorschusslorbeeren. Ihm wird nicht nur Konzeptfußball wie in Bielefeld zugetraut, sondern sogar „Erlebnisfußball“ und überdies – Erfolg. Der 47-Jährige ist trotz prolliger Attitüde ein geselliger Mensch, intelligent und meinungsfreudig. Weil er zudem anekdotenreich zu plaudern versteht, freut sich der Kölner Boulevard. Auf dem Platz gilt der Zigarrenfreund als stevenesk harter Hund, giftig, erfolgsfixiert. Wer danebenschießt oder -grätscht, wird volley angebrüllt. Achtmal in seiner Karriere, zählte der strenge Express launig nach, wurde Rapolder schon wegen Verbalverfehlungen von Schiedsrichtern auf die Tribüne geschickt.

Köln hofft auf „Prinz Poldi und Prinz Rapoldi“. Doch nicht alles läuft trotz hübscher Namensehe rund: Zunächst kam Lukas Podolski aus dem Urlaub gut gepolstert zurück – „zehn Kilo zugenommen“ habe er wohl, taxierte Torwart Wessels. Beim Trainingsauftakt hat der Hl. Lukas dann hunderte Kids autogrammlos „Poldi, Poldi“ schreien lassen und damit bereits Schnöseltum geübt für das geplante Engagement ab 2006 beim FC Bayern.

Vier Tage später folgte der peinliche FC-Flop um Abwehrhaudegen Murat Yakin. Der Mann vom FC Basel hatte in letzter Sekunde, nach mündlicher Zusage, Einkleidung, zwei absolvierten Trainingseinheiten und Transfer-Vollzugsmeldung plötzlich Reißaus genommen. Rapolder erklärte sich „total irritiert“ von seinem Lieblingsspieler, den er gegen vielfache Widerstände im Verein unbedingt hatte verpflichtet sehen wollen. Nach dem Desaster mit den zypriotischen Trikotsponsoren, die sich als windschiefe Hasardeure herausstellten, hatte der FC zum zweiten Mal in den Misthaufen gegriffen, bevor die Saison überhaupt angepfiffen ist. Der Kölner Stadt-Anzeiger befand in gewohntem Spott nach dem Yakin-Chaos: „Der 1. FC Köln steht nach wochenlangem Werben wie ein Bräutigam da, dem die Frau vor dem Altar weggelaufen und ins fahrende Auto des Ex-Gatten gesprungen ist.“ Wer wirklich gekommen ist (und bislang auch geblieben): Dimitrios Grammozis aus Lautern, Björn Schlicke vom HSV, Imre Szabics aus Stuttgart. Arrivierte Leute. Besonders große Hoffnungen werden in den Exbochumer Peter Madsen gesetzt, der vor Podolski die Angriffsspitze geben soll. Geblieben sind bislang allerdings auch Sorgen um eine taugliche Abwehrformation und die ewigen Scherz, Sinkala, Springer und Cullmann, die schon seit Jahren 1.) ihre Zweitligaklasse und 2.) ihre Erstligaüberforderung im Kölner Ligahopping bewiesen haben.

Lockt den FC wieder die Unterklassigkeit, aus der sich so wunderbar umjubelt aufsteigen lässt? Gängige Einschätzung: Spielt der abgespeckte Poldi wieder auf Confed-Niveau, könnte sich der Karnevalsverein erfolgreich durch die Saison schunkeln. Bis Platz 15, sagen die wenigen Realisten. Bis Platz 8, sagen die Optimisten, also fast alle Kölner. Mit anderen Worten: Man weiß et nich. Wohl aber, dass die Saison wunderbarerweise mit dem Karnevalsduell schlechthin beginnt: Alaaf gegen Helau. FC gegen Mainz.

Vieles wird von Podolski abhängen, sagen die Kölner Poldisten, also alle. Und wenn Platz 15 geschafft wird, könnte man endlich den Europapokal zum Offizialtraum erklären. Uwe Rapolder ist schon kölsch assimiliert: Der Schwabe ist „überzeugt, dass Köln vor einer neuen Ära steht“.

BERND MÜLLENDER